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04 Lahoredynamik

  • Autorenbild: Lukas Nagy
    Lukas Nagy
  • 21. Juni 2022
  • 8 Min. Lesezeit

Tach zsamm, hier ein neuer Blogeintrag über die letzten Tage in Lahore. Ich sitze aktuell im semikomfortablen Minibus, der uns zwölf Insassen von Pindi ausgehend hoch in den Norden nach Chilas bringt. Wir starten mit 20 min Verspätung, hoffen auf keinen Erdrutsch und fahren über die Nacht. Los gehts.


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Die pakistanische Bahn abchecken

Zugfahren fühlt sich ungewohnt ruhig an, keine Schlaglöcher und Bodenwellen, keine schrillen Hupen und Geschrei, einfach angenehm. Shazi hat mir eine Liege in der Business Class gebucht mit Ventilator und A/C. Es ist die zweite Klasse, vor Standard und Economy, wegen den Liegen um die 10 ct teurer als die Standardklasse, klasse. Ich überlege, ob wenn man den Komfort der DB meinem Ticketpreis nach runterskaliert, sich der pakistanische Zugkomfort ergibt, macht das Sinn? Keine Ahnung. Jedenfalls zahle ich nur 4 € ungrad. Wir sind zu 7t im Abteil, größtenteils liegend am schlafen, ich ganz oben unter der Decke. Die fünf Stunden Fahrt von Shazis Heimatdorf aus gehen schnell vorbei. Gujar Khan lag sowieso in der Richtung und so hat er mich bissle auf der wilden pakistanischen Autobahn mitgenommen.

Maximalgeschwindigkeit waren um die 100 km/h, schneller geht bei den Belag-zuständen und dem Verkehr sowieso nicht.

Und zack bin ich in Lahore angekommen, der Hauptstadt der Provinz Punjab im Osten Pakistans, nahe der Grenze zu Indien. Ich hatte einfach Lust auf noch mehr Hitze. Ne, aber diese Stadt mit ihren historischen Bauten, ihrer Essensvielfalt und Kulturdynamik muss man erlebt haben, das sagt jeder Pakistanführer.

13 mio. Einwohner und 45 Grad, das ist ne Wucht. Unweit des Bahnhofsgebäudes stehen mir direkt geschätzte 99 Rikscha-fahrer (muss man hier nicht gendern) bereit und fünf sind zeitgleich bei mir, was jetzt? Zum Glück machen sie’s unter sich aus und ich watschel nur hinterher. Auf gehts zu Shahid, meinem zweiten Couchsurfing Gastgeber.

Shahid, die Couchsurfinglegende



Shahid ist eine Couchsurfinglegende, er ist 67, seit 2018 mit dabei und hat in seiner Hütte schon über 400 Surfer beherbergt, selbstverständlich waren die meisten davon mal wieder se Germans. So gesehen ist er ein Schatz für die pakistanische CS-Gemeinschaft, er ist begabt darin Leute zusammen zu bringen und deshalb auch Botschafter. Und er ist reich, für pakistanische Verhältnisse stinkreich.

Er wohnt mit ein paar Familienmitgliedern mit im besten Viertel der Stadt, in Gulberg.

Dort komme ich also wie ein begossener Pudel - wegen Hitze - nach einer Halbestundenrikschafahrt an. Ich werde von einem seiner fünf netten Guards in Empfang genommen und staune nicht schlecht als sich mir sein Anwesen offenbart. Englischer Rollrasen und ein schickes modernes Haus. Und ich denke nur an mein Gastgeschenk: ne Packung Wiebele, für vier Nächte... Naja, dann muss ich ihn halt gut unterhalten.

Shahid arbeitet noch. Er besitzt wie ich im Laufe der Tage herausfinde eine renommierte Steuerberaterkanzlei mit u.A. fünf Junioren, auch zwei Frauen.

Nach einem längeren Powernap breche ich bereits im Dunkeln und etwas Kühleren in Richtung Main Market auf, umma Ecke. Dort hangel ich mich von einem zum nächsten Streetfoodstand und hab Spaß. Das erste mal macht sich die Sprachbarriere bemerkbar, als ich von einem Standbesitzer mit Gemüsetaschen eine Probekostung bekomme. Dazu reicht er mir eine Schale Irgendwas. Sieht nach Hühnerbrühe oder so aus, ist aber kalt und schmeckt abscheulich. Die Tasche allerdings ist enorm lecker. Ich möchte ihn bezahlen, aber er nimmt nichts an. Jemand hinter mir meint, dass Ausländer nichts zahlen. Ich versuche ihm zu vermitteln, dass ich gerne noch mehr hätte und natürlich dafür zahlen möchte, aber das versteht er leider nicht. Nach kurzer Zeit winkt er ab. Schade. Beim nächsten Stand bekomme ich einen großen Teller von der pakistanischen Version von Chinese Food, also ein Nudelgericht süß-sauer. Sehr gut gewürzt und einfach köstlich im Geschmack. Und wieder darf ich nicht zahlen, echt verrückt.


Am darauffolgenden Morgen hab ich Dünnpfiff, nennen wir es beim Namen, es hat sich gelohnt.

Nach einem von Shahids Guard gereichten Frühstück geht es für mich für ein paar Stunden in die Walled City, die Altstadt von Lahore. Ich setze mich erst mal in den Schatten und beobachte eine Weile. Nach vielem Rumgelaufen und Rumphoto-grafiere, übermannen mich leider irgendwann die extrem intensiven und abwechslungsreichen Gerüche, die Hitze und die Geräusche, sodass ich mich mittags mit heißer Birne wieder zurückrikscha und aufs Bett flacke. Am Nachmittag wird es noch etwas schlimmer, Fieber und Schüttelfrost. Ich fühl mich echt bescheiden. Shahid hat aber zu einem Couchsurfing-Event auf seinem Grund-stück eingeladen. Knock knock, er steht vor der Tür und stellt mir einen Freund vor, der mit mir ein Interview führen möchte, er ist YouTuber. Also sitze ich in meinem Zustand kurze Zeit später vor einer kleinen Kamera und habe ein Mikrofon angesteckt. Es geht um meine Reise, Herkunft, Hobbys. Danach geht es direkt weiter zur Feier runter in den Garten, dOrt ist schon alles vorbereitet. Da muss ich halt jetzt durch.

Es folgt ein witziger längerer Abend mit Essen vom Grill und vielen, vielen, vielen Gesprächen und Fotos. Es sind um die 60 lokale CS-Member da, mitten drin zwei Deutsche. Nathan ist auch noch dabei, er hat es irgendwie über die indische Grenze nach Pakistan geschafft und vorher ein halbes Jahr in Mumbai studiert. Es fühlt sich ernsthaft an, als wären wir eine besondere Rarität, die Attraktion des Abends. Irgendwann müssen wir uns dann vor allen noch länger vorstellen und Fragen aus der Runde beantworten, es hätte nur noch eine Autogrammrunde gefehlt. Später kommt Shahid noch mit einer Torte um die Ecke und ich darf sie anschneiden, während mir alle Happy Birthday singen, wahnsinn. Nach unendlichem Geknipse und Kontaktaustausch fall ich hundemüde ins Bett, neben den YouTuber, der übernachtet nämlich (leider) auch hier.


Salman und Ahmed

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Salman ist Businessowner, Chemikalien sind sein Ding. Er verkauft Weißkalkhydrat zur Herstellung jeglicher Arten von Farben und Baustoffen. Er lacht gerne. Nathan und ich treffen ihn mittags, man hat sich auf dem CS-Event kennengelernt. Sein Laden ist wie so üblich in einer Garage hochgezogen. Büro, Lager und Schauraum in einem.

Wir haben es von Müll.

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Bisher habe ich wenige Müllbilder geschossen, ist ja auch nicht schön anzusehen, aber Pakistan ist leider beinah müllgesättigt. Auch in Islamabad gibt es viele Ecken, an denen Müll in jeglicher Form anscheinend einfach abgeladen wird, in Lahore sind die Straßen und Wege generell extrem vermüllt und auch auf meinen zwei Zugfahrten habe ich stellenweise einige Tonnen neben den Gleisen liegen sehen. Pakistani sind halt auch Verpackungsliebhaber. Alles wird nochmal extra in eine Plastiktüte eingepackt.

Laut Salman denkt man über ein Verbot der Plastiktüte nach und einen Ersatz mit Kompostierbaren, man arbeitet an der Umsetzung von Recycling, um der Müllverbrennung zu entfliehen. Außerdem wurde nach deutschem Rezept eine kompostierbare Plastiktüte eingeführt, die nach einem Jahr zu Schrot zerfallen ist. 1 Jahr ist anscheinend nötig, dass die Tüte auch noch zum Lagern verwendet werden kann. Die bestimmte Rezeptur der Tüte hat auch noch den Vorteil, dass sie beim Kontakt mit Wasser innerhalb von zwei Tagen löchrig wird. Laut Salman führt das zur Reduzierung von Flutungen durch verstopfte Abwasserkanäle, die oftmals durch herkömmliche Tüten zugemüllt sind. Den Punkt hatte ich gar nicht auf dem Schirm. Ich denk mir nur trotzdem, dass mit diesen neuen Tüten dann ja Unmengen Mikro- und Nanoplastik ins Grundwasser gelangt … vlt liege ich da aber auch falsch.

Wir sind zum Mittagessen noch mit Ahmed verabredet, ein älterer Herr, der ebenfalls eine Chemikalienfirma besitzt. Er ist in sehr interessante Projekte involviert. Bspw. ist er einer der Köpfe des Lions Club in Pakistan. Der Lions Club International stellt weltweit Projekte auf die Beine, die einen Service für die Gesellschaft, speziell Minderheiten bieten. So waren sie zum Beispiel für die Umsetzung der kompostierbaren Plastiktüte in Pakistan verantwortlich, haben eine mobile Krebsvorsorgestation eingerichtet und zahlen jährlich etliche Augen- und Zahn-OP‘s für ärmere Menschen. Ahmed ist überzeugt vom pakistanischen Potential und bedauert deshalb die immer noch akute Hassbrüderlichkeit zwischen Indien und Pakistan sehr. Das Interesse der westlichen Staaten in diese Nachbar-schaftsdynamiken ist laut Ahmed zu groß (Waffen etc.) und hemmt Pakistans Fortschritt enorm. Keine Ahnung in wie weit der geringe Fortschritt damit zu belegen ist, aber irgendeinen Grund muss es ja geben, dass sich speziell wirtschaftlich in den letzten 70 Jahren nach der Unabhängigkeit so wenig getan hat. Es wird hier halt auch gerne und viel in die Militärkraft investiert.

Ist leider sehr häufig in Lahore zu finden:



Abschließend haben wir es noch vom Gesundheitssystem.

Es gibt drei Kategorien: entweder man gehört zur Oberschicht und zahlt einfach alles in privaten Krankenhäusern selber, oder man führt einen anständigen Job aus und der Arbeitgeber finanziert die Gesundheit, oder aber man gehört zur stark ausgeprägten Unterschicht und bekommt in staatlichen Krankenhäusern eine kostenlose Versorgung, natürlich nur bis zu einem gewissen Grad.

Bin mal wieder begeistert von Couchsurfing, ohne die Platform Nathan und ich denke ich nicht zu diesem interessanten Gespräch gekommen wären.

Salman hat noch mehr Zeit und nimmt uns mit in die nahe gelegene Altstadt, um uns seine Lieblingsecken zu zeigen.

Hier in Fotos.


Shahi Hammam von 1635 (Ort für die Waschung)


Wazir Khan Moschee:

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Salman hat dann noch einen Kumpel (Mitte) angerufen, der uns die Glashalle eines Havelis gezeigt hat. Havelis gibt es in der Altstadt Lahores noch und nöcher.


Am Abend ging es für mich dann noch in ein riesiges Kaufhaus, das mir für den Kauf eines Salwar Kameez empfohlen wurde. Der Hintergrund des weiten Gewands ist laut eines Verkäufers eigentlich das Verhindern von Body Shaming.


Shazi back in town

Am darauffolgenden frühen Morgen treffe ich Shazi zum Drohnenshooting und Frühstücken. Er hat eine neue Deohne und möchte sie gerne bei der bekanntesten Lahoreschen Moschee, der Badshahi Moschew austesten. Als ich ihn auf Erlaubnis etc. anspreche, meint er nur: “er ist doch Pakistani und Local“, von wegen das wird schon klappen.


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Den restlichen Tag haben wir eigentlich nur noch mit Essen verbracht, das darf in Lahore auch einfach nicht zu kurz kommen.

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Ab in den Norden

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Am Sonntagmorgen lädt Shahid das deutsche Pärchen und mich noch zu einem traditionellen Frühstück ein, süß und salzig, warm und kalt. Wir unterhalten uns über pakistanische Hochzeiten, das Pärchen war in der zuvorigen Nacht auf einer. Shahid meint, typischerweise dauern die Feiern drei Tage lang - ich schätze mal nur mit gutem Geldbeutel, es ist aber auch üblich Geldgeschenke für die Feier zu machen. Am ersten Tag wird im größeren Rahmen gefeiert, der zweite Tag wird von der Braut, der dritte vom Bräutigam im engeren Kreise organisiert. Üblicherweise ist die Hochzeitsnacht auch erst die Zweite, unterschrieben wird am ersten Tag. Vor zehn Jahren wurde sich anscheinend auf eine Art Richtlinie bzgl. des Abendessens geeinigt. Es soll nur noch Reis und ein Hauptgericht geben, das reduziert die Erwartungen an die Gastgeber und durch die geringeren Kosten ist es auch weniger reichen Menschen möglich, ihre 300 Gäste zu empfangen. Es kommt übrigens immer noch vor, dass innerhalb der Familie geheiratet wird, unter ersten oder zweiten Cousins, laut Shahid machen das noch 15% aus. Hm.



Alkohol in Pakistan?


Am Sonntag konnte ich dann endlich mein Geburstatgsbierchen nachholen. Ich wollte einfach mal testen, ob man in Pakistan auch an Alkohol kommt. Dazu musste ich nur zu einem der fünf Sterne Hotels gelangen und in dessen hinterster Grundstücksecke in einer heruntergekommenen Hütte nach einem Murree fragen. Für etwas mehr als 1€ habe ich eine Dose Leichtbier bekommen. Dann stellte sich nur die Frage: wo konsumieren? In der Öffentlichkeit mit paar Millionen Muslimen um mich rum sicher nicht. Also habe ich mich dazu entschieden, die Dose während einer Rikschafahrt (ziemlich geschützt) umzufüllen und mich dann auf einer Sackgasse nahe der Bahngleise „versteckt“. Das warme Bier hat ganz ordentlich geschmeckt, ist ja auch eine regionale Brauerei. Hab mich allerdings ordentlich unangenehm gefühlt, obwohl es für mich als Nicht-Muslim nicht illegal ist.


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Das war’s mit den zwei Großstädten Islamabad und Lahore, ab jetzt gibt es mehr Bergcontent.


Bis dann.


 
 
 

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