05 Nanga my Love
- Lukas Nagy
- 29. Juni 2022
- 6 Min. Lesezeit
Datum: 29.06.22
Location: Märchenwiese am Nanga Parbat
Status: fröhlicher Wanderbursche
Grüße aus dem wunderschönen Mountainstory Resort am Fuße des Rakaposhi. Dort verbringe ich aktuell zwei Nächte. Auftanken, warm Duschen, paar Mützen Schlaf nachholen, die umliegenden Gipfel bestaunen.
Mal wieder auf Achse: es geht von Islamabad über Stock und Stein hoch in den Norden in Richtung Industal. Im Kleinbus wird mir klar, dass ich mich in ländlichere Gegenden bewege und Englisch weniger flüssig gesprochen wird. Aber so denke ich mir, hab ich auch mal kurz Pause von den teilweise mühsamen Small Talk Gesprächen.
Und so fahren wir also los in die Nacht: halbe Stunde fahren, 10 min Pause für Essen, eine Stunde fahren, halbe Stunde Pause für Abendgebet und Essen, sammal wir wollen doch voran kommen? Mit vollem Magen und guten Gewissen sitzen wir dann keine 10 min wieder im Sprinter, fatz kawums pffffs uuund der Keilriemen ist gerissen, na Prost Mahlzeit. Ist anscheinend aber kein Problem für unseren Fahrer, der anscheinend auch Kfz-Machaniker ist und nach 15 min sind wir zum Glück wieder mit 100 Sachen unterwegs. Anscheinend hat er den Riemen irgendwie wieder zusammengeflickt bekommen, puuh.
Ich sinke in meinen semikomfortablen Sitz zurück und versuche zu schlafen. Irgendwann in der Nacht werde ich geweckt und alle schauen mich an, ahja ich muss meinen Pass zeigen. Wir sind an einer Art Mautstation, ein Beamter registriert mich, wir beide im Halbschlaf. Nach ein paar weiteren Stunden Fahrt erreichen wir eine Schlüsselstelle, den Babusar Pass auf 4200 m Höhe. Sollte ja kein Problem sein im Sommer, kann man sich denken. Blöderweise hat es die letzten Tage aber immer mal wieder geschneit, sodass der Weg hinauf aufgrund der langsamen Steigung okay, aber die steileren Serpentinen hinunter zu rutschig sind. Also stehen wir oben und amüsieren uns. Schnell wird mir klar, dass ich der einzige mit wärmeren Klamotten bin. Alle um mich rum sitzen in ihren Salwar Kameez - von der thermischen Wirkung eines Nachthemds - und ihren Sandalen da und sind verblüfft über die Minusgrade. Papa Lukas packt dann natürlich seine feinsten Daunen aus und es wird geteilt.


Nach oben geht wohl immer:
Es vergeht eine Zeit lang mit Schnattern und heißen Chai trinken. Irgendwann meinen zwei Jungs, Tahir und Amir, dass ihr Onkel mit einem Jeep hier hoch unterwegs sei, ob ich nicht mitkommen möchte. Mittlerweile sag ich zu allem einfach nur noch ja, also sitze ich eine Weile später im Jeep nach Chilas, meinem Zwischenziel. Was ein Glück mal wieder. Zwischendurch rasten wir noch auf einer Hochalm.

Die Gilgiti (Bewohner der Provinz Gilgit-Baltistan) sind überzeugt von ihrer Wunderfrucht, der Aprikose. So sitze ich also hinten im Jeep, snacke genüsslich frische Aprikosen und genieße die Fahrt durch das grüne, tief eingeschnittene Tal gen Karakoram Highway, der Hauptstraße entlang des Indus, die hoch ins Karakorummassiv bis zur Grenze Chinas führt. Herrlich.

In Chilas verbringe ich eine Nacht im Hotel der neuen Freunde, am Morgen geht es zur Raikotbrücke, dem Startpunkt der Jeeps, die einen ein Stück weit dem Nanga Parbat näher bringen. Mein Taxifahrer Muhammad lässt mich sogar einen Teil auf dem Karakoram Highway fahren. Links Schalten ist doch gar nicht so schwer :D
Der Weg zur Märchenwiese






Ahmed, unser Jeepfahrer, ist sich nicht sicher, ob seine Büchse nochmal durch den TÜV kommt … jedenfalls interpretiere ich seinen Blick so. Ich bin schon echt froh, nach zwei Stunden oben angekommen zu sein.
Los geht die Wanderung hoch zur Wiese. Zwischendrin gibts ne kleine Pause mit neuen Bekanntschaften bei Pommes und Chai.
Und dann bin ich angekommen …



„… eine Oase ohnegleichen, da stünde jedem Kamel die Futterluke offen: die Märchenwiese. Hoch oben, die vorletzte Stufe der Himmelstreppe, frisches Grün, englischer Rasen, koniferenumringt, eine unbeschreibliche Idylle zaubernd … vermittelt sie ein hinterlistiges Harmoniegefühl, das einen sämtliche Ängste vor dem Diamer, dem Königin der Berge, Nanga, vergessen lässt.„ - L.N.
Besser hätte ich es einfach auch nicht ausdrücken können.
In aller Herrgottsfrüh klingelt der Wecker und mich erwartet folgender Anblick:
Umso enormer, da der Nanga Parbat, dessen Rakhiotflanke, am vorherigen Tag dicht verschleiert war.
Ich war ernsthaft ordentlich aufgeregt, als ich aus dem Bett fiel und dann dieses Video aufgenommen habe. Nachdem ich so viel über 8000er gelesen, gesehen und gehört hatte, war es für mich ein Gefühl, wie als ob ich erstmals als Fanboy meinen Lieblingspromi live zu Gesicht bekomme.
Diese vereiste Wand haut einen echt um, blendet wie ein ausgeleuchteter Spiegel. Mehr als 4700 m Höhendifferenz zwischen meinem Standpunkt und dem Gipfel, beinahe die Höhe des Mount Blanc.

Um halbsieben ziehe ich die Ferraris an und steige los gen Nanga Parbat Base Camp, von der Märchenwiese aus.
Glücklicherweise schlummern alle sonstigen Pakistanitouristen noch, ruhen sich auf ihrer Unsportlichkeit aus. Dadurch erlebe ich einen unglaublich schönen Aufstieg, durch Wälder, die immer mal wieder von Hochalmen mit weidenden Nanga-Kühen, Nanga-Ziegen und Nanga-Eseln unterbrochen werden. Sonst herrscht absolute Ruhe, Vögelgezwitscher, Bachgeräusch. Immer wieder wird der Blick der majestätischen Rakhiotwand verdeckt und jedes Mal aufs Neue bin ich geflasht, sobald sie wieder auftaucht. Manchmal schüttelts mich regelrecht. Seltsam was ein Berg in einem auslösen kann.


Ich denke viel über Bergsteigerpioniere nach, den österr. Erstbesteiger Hermann Buhl und Reinhold Messner natürlich.
Buhl und Kollege Kempter gelingt es 1953 über die linke aufsteigende Gletscherpassage auf die Rakhiotspitze und dann über den Grat bis ins Lager V auf 6900 m aufzusteigen, 1225 m Höhendifferenz bis zum Gipfel, sechs Kilometer horizontale Distanz. In der Nacht vor dem Gipfelversuch kommt die Nachricht von Hillary und Tensing Norgays Erfolg der Everesterstbesteigung an, um 2 Uhr morgens bricht Buhl alleine auf. Nach 41 Stunden Auf- und Abstieg, unter Einfluss von drei Pervitintabletten und Kokatee, ist er in Sicherheit im Lager V. Er hat eine Nacht lang im Stehen auf 8000 m Höhe in der Todeszone biwakiert. Hoppla, mir macht die Höhe jetzt ab 3800 m schon zu schaffen :D
Extrem spannend, wie weit ein Wille - und ja auch ein paar Drogen - den Körper zwingen können. Trotz Halluzinationen, in Trance, Erfrierungen, totaler Erschöpfung gelingt es der Intuition oder dem Unterbewusstsein noch abzusteigen, des Gleichgewicht und die Orientierung zu behalten. Bis dahin haben 32 überwiegend deutsche Bergsteiger (Nazis) das Leben am Nanga Parbat gelassen. 1937 hat bspw. eine einzige Lawine 7 Bergsteiger und 9 Hochträger im Lager IV ausgelöscht. Es leuchtet einem ein, dass dieser Berg damals als der „deutsche“ Schicksalberg gilt.
Nanga Fakten:
Höhe: 8125 m
Location: Südlich des Industal, westlichster Eckpfeiler des Himalaya
Derzeitige Fatalitätsrate: 22,3 %
Flanken: Rakhiot, Diamir und Rupal (höchste Wand der Welt mit 4600 m von deren Wandfuß aus)
Erstbesteigung: 1953 von Hermann Buhl über die Rakhiotseite unter Einfluss von Pervitin und Kokatee, ohne O2
Soloerstbesteigung: 1978 von Reinhold Messner über die Diamirseite, nach 6 Tagen in der Wand, Abstieg von 3000 m an einen Tag, ohne O2
Irgendwann komme ich am zweiten Aussichtspunkt an, hier hat es auch ein „Restaurant“, ist natürlich noch geschlossen. Jetzt sehe ich auch die Dimensionen des Rakhiotgletschers, der größtenteils mit Geröll bedeckt ist. Das haben wie ich später lesen die meisten Gletscher in Pakistan so an sich. Dadurch ist im Schnitt sogar ein leichter Gletscherwachstum zu verzeichnen. Dort wo der Gletscher freiliegt, schmilzt er natürlich.

Ich bin bei dessen Anblick so dermaßen froh, dass dieser Ort weit weg von den Alpen oder anderen vom Tourismus befallenen Orten liegt. Sonst wäre hier wahrscheinlich schon eine Gondel mit der längsten Spannweite oder irgendeinem anderen Mist errichtet worden. Wie konnten Naturschützer in den Alpen eigentlich so dermaßen versagen? Verdammter Lobbyismus.
Weiter geht es für mich entlang des wunderschönen Pfads, natürlich auch ohne Sauerstoff, selbstverstehtsich. Auf den letzten Höhenmetern, auf knapp unter 4000 m stoße ich wieder auf grasende Pferde und unmittelbar daneben ein Murmeltier, das perfekt vor der Kamera posiert. Magisch. Langsam aber stetig wird der Schneeanteil höher, bis ich irgendwann einen Pfad verliere. Messner: ein Tourist folgt einem Pfad, ein Bergsteiger findet einen. Also spure ich halt selber, mit der GPS-Karte auf dem Handy, easy. Kurze Zeit später stehe ich am Gedenkkreuz, das für den 1934 umgekommenen Alfred Drexel aufgestellt wurde, knapp dahinter die schneebedeckte Fläche der damaligen Base Camps. Ich sitze einfach nur da, lege den Kopf in den Nacken und überlege wie zur Hölle man da hoch kommen soll. Es sind immer noch 4125 Hm zu überwinden. Heute fühle ich mich irgendwie nicht so fit dafür, mein linker Fuß drückt etwas, naja.
Abwärts. Keine 10 min neben dem BC erreiche ich auf dem Rückweg eine Hütte mit davor sitzendem Pakistani. Es sei sein Hotel und er schaue gerade mal nach dem rechten. Ich habe ihn mal lieber nicht gefragt, wann hier wer zuletzt übernachtet hat. Aber ein Träumchen wäre es schon.
Happy und müde komme ich wieder auf der Märchenwiese an, leider habe ich die Sonne auf meinen Waden phänomenal unterschätzt. Das erste mal mit kurzer Hose in Pakistan.


Den Abend, zum Sonnenaufgang und am Morgen sitze ich einfach nur da und starre diese Wand an. Ich bin verliebt.






















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